Die 10 gestalterischen Strategien (Wie?)

[Edit 2023: Siehe auch die Weiterführung der gestalterischen Strategien im Beitrag Gestalterische Prozesse]

Seit einigen Jahren wird in Fachartikeln, Lehrmitteln und populären Kunstzeitschriften gehäuft von so etwas wie Strategien künstlerischen Arbeitens, künstlerischen Methoden oder dergleichen gesprochen. Auf den ersten Blick sind diese vermeintlichen Kunstricks insbesondere im Kunstkontext kritisch zu betrachten. Im Kontext der Gestaltungspraxis und Rezeption scheinen diese jedoch sehr inspirierend und aus pädagogischer Sicht vielversprechend zu sein. Allerdings schaffen diese meist als Aufzählungen mit ansprechenden Werkbeispielen illustrierten Darstellungen auch Konfusionen. Die grösste Verunsicherung entsteht durch die unreflektierte Vermengung von Absichten und Strategien. Zwar bestehen zwischen Absicht und Strategie eine Interaktion. Jedoch darf für eine mündige Handhabung weder in der Produktion noch in der Rezeption die Unterscheidung von Wieso und Wie vermengt werden. Die gestalterische Absicht ist der Beweggrund für die Gestaltung, verbunden mit der Vorstellung vom Ziel und dem gestalterischen Impact. Die gestalterische Strategie hingegen ist eine Wegbeschreibung für den Gestaltungsprozess zum Erreichen des Ziels. Dieser Beitrag konzentriert sich in einer ersten Annäherung auf die Darstellung der gestalterischen Strategien. Die gestalterischen Absichten werden später in einem weiteren Schritt untersucht. (siehe hier: Die 10 Gestalterischen Absichten)

Gestaltung ist nicht lediglich intuitiv zu erschliessen und somit den „Kreativen“ oder „gestalterisch Begabten“ vorbehalten. Eine Auflistung von gestalterischen Strategien schafft hier Klarheit und lässt das Gestalten kognitiv erschliessen, um danach auch in der breiten Praxis Verwendung zu finden. Insbesondere im Bereich der Kreativitätstechniken existieren bereits interessante Modelle, wie die Osborn-Checkliste von 1957. Etwas fassbarer scheint die 40 Jahre später entwickelte SCAMPER-Checkliste von Bob Eberle zu sein. Diese Listen zielen darauf ab, im musischen oder wirtschaftlichen Bereich neue Produkte zu gestalten – oder besser gesagt herzustellen. Eine triviale Vorstellung von Kreativität beschränkt sich damit auf die Gestaltung von Skizzen, Gemälden, Filme, Innendekoration, Produkte, Marken, Firmen, Industrieprozesse und dergleichen. Und an dieser Stelle kommt auch die Idee der SCAMPER-Liste an ihre Grenzen. Denn Gestaltung ist weit mehr. Gestaltung ist ein omnipräsenter Akt des Wahrnehmens, Denkens und Handelns. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, hierzu die gestalterischen Strategien kummulativ aufzulisten und zur besseren Übersicht in Kategorien zu ordnen:

  1. Erfinden: genuin Erzählen, Hervorbringen, Generieren (ob es das wirklich gibt, sind sich nicht alle einig)
  2. Nachahmen: Kopieren, Imitieren, Zitieren, Fälschen, Nacherzählen, Nachspielen, Nachkonstruieren, Nachmodellieren, Reenactment
  3. Ordnen: Sammeln, neu An- oder Umordnen, Rekonfigurieren, Hervorheben, Gegenüberstellen, Vergleichen
  4. Reduzieren: Abstrahieren, Vereinfachen, Selektionieren, Auswählen, Löschen, Wegnehmen, Verschweigen, Auslassen
  5. Ergänzen: räumlich, zeitlich, inhaltlich Extrapolieren oder Interpolieren, Assoziieren oder Präzisieren, Beifügen, Erweitern, Lücken Füllen, Herauszoomen oder Hineinzoomen
  6. Interpretieren: Übersetzen, Verstärken, Übertreiben, Karrikieren, Adaptieren, Symbolisieren, Personifizieren, Transferieren, Umfunktionalisieren, Dekontextualisieren
  7. Transformieren: Modifizieren, Variieren, Verfremden, Verwandeln,  Ersetzen, Substituieren, Austauschen, Überschreiben, Umkehren
  8. Kombinieren: Collagieren, Montieren, Remix, im gewissen Sinne auch Konstruieren, Verschmelzen, Metamorphisieren, Morphing
  9. mit dem Zufall gestalten: Zulassen und Agieren, auf Unerwartetes, Ausrutscher oder Unfall Reagieren
  10. Gestaltung passiv zulassen: nur Zulassen, Zuschauen, Ertragen

Um sich in den Gestaltungsprozessen zu üben und mit den gestalterischen Strategien zu spielen, bietet sich der Alltag als ein interessantes Spielfeld an: Wie soll ich mich heute Anziehen? Welchen Arbeitsweg nehme ich? Wie entschuldige ich mich bei meiner Verspätung? Wie versuche ich mir den nächsten Fachartikel zu merken? Wie erledige ich den nächsten Auftrag? Wie verbringe ich die Pause? Wie entgegne ich meiner nächsten Bekanntschaft? Wie gestalte ich mein Mittagessen? Wie soll ich dabei kauen? Wie meine Hände waschen? Beim Laufen in welchem Rhythmus atmen? Wie beantworte ich dieses SMS? Wie leere ich die Geschirrspulmaschine? Wie gestalte ich meine sportlichen Aktivitäten? Wie empfinde ich den nächsten Schmerz? Wovon möchte ich träumen? Wie meine Welt wahrnehmen? Wie denken? Wie handeln? Wie leben? Nach diesem Experiment mit wohl auch dadaistischen Resultaten wird der nächste Gestaltungsprozess im oben genanten klassischen Bereich bestimmt auch vielfältiger und bewusster ausfallen.

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