Im Gestaltungsunterricht wird relativ präsent die Theorie der Farbkontraste aber keine allgemeine Kontrasttheorie unterrichtet. Dies hat damit zu tun, dass keine Kontrastlehre im Lehrplan enthalten ist. Aber auch die theoretischen Grundlagen fehlen, geschweige denn die Lehrmittel. Dies ist zu bedauern, da eine allgemeine Kontrasttheorie die Fähigkeit der Gestaltung und Rezeption im zweidimensionalen und dreidimensionalen Bereich über die gestalterischen Mittel wie Farbe, Form, Textur, Komposition, Material aber auch Inhalt enorm erweitern würde. Nicht nur das, eine allgemeine Kontrasttheorie könnte auf die gesamte wahrnehmbare Umwelt wie z.B. auf Politik, Wirtschaft und Familie angewendet werden, um komplexe Sachverhalte verstehen und ordnen zu können. Dies ist der Grund, wieso hier der Versuch unternommen wird, den Ansatz einer allgemeinen Kontrasttheorie zu formulieren.
Der absolute Kontrast
Ein Kontrast beschreibt einen Unterschied.
Sobald zwei vergleichbare Elemente irgendeiner Art vorhanden sind, lässt sich etwas über den Kontrast aussagen. Entweder besteht ein Kontrast oder nicht. Das ist der einzige Aspekt des Kontrastes, der absolut beschrieben werden kann. Ansonsten ist ein Kontrast immer relativ zu verstehen.
a ______________ b ______________ |
a ________________ b ____________ |
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1. Kein Kontrast in der Schrichlänge | 2. Kontrast vorhanden |
Der relative Kontrast und seine Qualität
a) Die Kontrastgrösse
Hat man eine Referenz, lässt sich die erste Qualität des Kontrastes beschreiben. Als Referenz versteht sich ein weiteres Element oder auch eine Wahrnehmungskonvention. Der Kontrast kann dann als relativ gross (stark) oder klein (schwach) festgestellt werden.
a ________________ b ____________ c _ |
a ________________ b ____________ c ___________ |
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1. a:b = relativ schwacher Kontrast im Referenzsystem ac |
2. a:b =relativ starker Kontrast im Referenzsystem ac |
b) Die Kontrasthärte
Damit eine zweite Qualität beschrieben werden kann, braucht es weitere Elemente. Danach lässt sich beschreiben, ob ein Kontrast weich oder hart ist. Ein relativ weicher Kontrast besitzt eine Vielzahl von Elementen mit unterschiedlichen Zwischenstufen, sodass sich der Verlauf vom Minimum zum Maximum relativ fliessend gestaltet. Ein harter Kontrast hat im Verhältnis wenig verschiedene Zwischenstufen, sodass im Vergleich erhebliche Lücken festgestellt werden können.
a ________________ b ______________ c ____________ d __________ e ________ f _______ |
a ________________ b ________________ c ___________ d ___________ e _______ f _______ |
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1. relativ weicher Kontrast zu 2. | 2. relativ harter Kontrast zu 1. |
Wirkung der Kontrastqualität
Im Folgenden werden Hypothesen zur Wirkung beschrieben, die sich aus eigener Gestaltungs- und Wahrnemungspraxis formulieren. Wissenschaftlich könnte man diese Hypothesen z.B. als Laborexperiment in einer quantitativen Wirkungsanalyse mit Experimental- und Kontrollgruppe überprüfen oder mit neurologischen Untersuchungen verifizieren oder falsifizieren, in denen die Hirnaktivitäten gemessen werden, um empirische Resultate zu erhalten, was bestimmt eine schöne Arbeit wäre. Zu den Hypothesen:
Ein schwacher Kontrast entzieht sich unserer spontanen Wahrnehmung, wirkt statisch und passiv. Gestaltet sich der Kontrast zudem weich, verstärkt sich die Wirkung. Bei längerer Betrachtung erhöht sich jedoch die Aufmerksamkeit.
Hingegen fällt ein grosser Kontrast in der spontanen Wahrnehmung stark auf, wirkt dynamisch und aktiv. Gestaltet sich hier der Kontrast zudem hart, verstärkt sich ebenfalls die Wirkung. Bei einer längeren Betrachtung sinkt jedoch die Aufmerksamkeit schnell ab.
Gestaltet sich ein Kontrast enorm stark und hart, fällt seine Wirkung wieder statisch und passiv aus. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich so aufklären, dass durch den enormen Unterschied, die Elemente nicht mehr vergleichbar sind – was als Voraussetzung eines Kontrastes gilt. Dies erfolgt dann, wenn die Breite des belegten Spektrums das Wahrnehmungsvermögen überschreitet.
ich habe mir gerade überlegt wenn man fotografiert, dann stimmt das auch? denn wenn ein kontrast stark ist und hart zb im gegenlicht also wenn man jemanden in der sonne fotografiert dann stimmt das doch nicht, weil der kontrast dann eigentlich nicht passiv ist…
Zur deiner ersten, eher rhetorisch gesetzten Frage: Ja! Insbesondere in der Schwarzweissfotografie spricht man gerne von Kontrast und meint dabei den Helldunkelkontrast, ohne explizit darauf hinweisen zu müssen. Möchte man aber in einer Schwarzweissfotografie spezifisch über den Formkontrast oder den Gewichtskontrast der abgebildeten Gegenstände sprechen, müsste man dies spezifisch nennen. Das hat damit zu tun, dass die Schwarzweisfotografie in ihrer 175-jährigen Tradition einen Schwerpunkt auf den Helldunkelkontrast gelegt und ein gutes Instrumentarium zur Beschreibung des Helldunkelkontrastes entwickelt hat. Das geht sogar soweit, dass die Schwarzweissfotografie zu weiten Teilen die allgemeinen Kontrastheorie exemplifiziert. D.h. eigentlich braucht man sich nur mit Schwarzweissfotografie zu beschäftigen, um weite Teile der allgemeinen Kontrastheorie abzleiten.
Bezüglich zweiter und eigentlicher Frage, verstehe ich deinen Einwand und finde diesen spannend! Allerdings muss man Bedenken, dass ein fotografisches Bild ein (vom Menschen hergestelltes) Medium mit einem abgesteckten Kontrastumfang ist. Eine Fotografie liegt im Bereich unseres möglichen Wahrnehmungvermögens. Und hier reicht nun die Schwarzweissfotografie zur Exemplifikation der allgemeinen Kontrasttheorie nicht mehr aus. Mit enormen Kontrast ist ein weitaus grösserer Kontrastumfang zu verstehen, der ausserhalb der Schwarzweissfotografie liegt und sinnlich nicht mehr erfassbar ist. Diese – ich gestehe – eher gewagte Aussage im letzten Abschnitt des Beitrags könnte man vielleicht mit folgender These in einem akkustischen Laborexperiment überprüfen: Konzentrieren sich Probanden (natürlich im Einzelexperiment) auf enorm hohe Töne, dauert es wahrscheinlich länger, bis diese einen fortzu lauter werdenen tiefen Ton wahrnehmen, als Probanden der Kontrollgruppe, die von mittleren Tönen ausgehen. Diese These wäre zu verifizieren.
Wäre es eigentlich möglich, das auslassen eines Kontrastes als künstlerischen Mittel zu verwenden? Es würde in einem Bild z.B. keinen richtigen Fokus-punkt geben, aber wenn es das Ziel vom Bild wäre, den Fokus auf das gesamte zu setzen, könnte man die ausgewogenheit theoretisch benutzen?
Du sprichst den Kontrast im Schärfebreich der Fotografie an.
Im 19. Jahrhundert lieferte der englische Fotograf Peter Henry Emerson eine Theoriegrundlage (Naturalistic Photography, 1889) für die künstlerische Fotografie (Pictoralismus), die er vom Physiologen Hermann von Helmholtz ableitete. Nach Emerson müsse eine Fotografie, die menschlichen Sinneseindrücke nachahmen und somit das Hauptmotiv scharf aber Vorder- und Hintergrund unscharf gestalten (out of focus) – also eigentlich durch künstlerische Unschärfe einen Kontrast im Schärfebereich erzeugen. Mit dieser Idee der künstlerischen Unschärfe folgten viele Amateurfotografen seinem Ansatz bis zur kompletten Unschärfe (durchgehend malerische Unschärfe ohne Schärfekontrast), um Fotografie nicht lediglich als technischen Vorgang sondern als Kunst zu verstehen (und dies obwohl Emerson zwei Jahre später die Idee „Fotografie sei Kunst“ widerrief).
Der Pictoralismus war spätestens nach dem ersten Weltkrieg abgenutzt und fiel in Ungnade, worauf die Neue Sachlichkeit oder die Gruppe f/64 (kleinst mögliche Blende mit grösstmöglichen Schärfebereich) als Gegenbewegung verstanden werden können. Auch hier haben wir als Resultat einen möglichst kleinen Schärfekontrast, jedoch nun wieder wie vor der pictoralistischen Fotografie durch grösstmögliche Schärfe. Diese Dogma wurde dann im Verlauf des 20. Jahrhunderts wieder gelöst, sodass heute vielleicht nicht in der Berufsfotografie (dort ist ein Schärfekontrast als ästhetisches Mittel immer noch gefragt) aber in der künstlerischen Fotografie wieder alles möglich ist – also ein hoher oder ein kleiner Schärfekontrast mit Schärfe und/oder Unschärfe. Dies zeigt sich z.B. bei Thomas Ruff, der je nach Werkreihe mit durchgehender Schärfe oder durchgehende Unschärfe spielt und somit nebst gesellschaftlichen auch interessante medientheoretische Fragen aufgreift.
Was wäre ein beispiel für relativer harter kontrast zu 1.? Könnte es sein dass ein Dunkelhäutiger Mann und Weisser Mann ein unterschied und Kontrast hat? Was wäre Weisse Mann neben Weisse Mann, gibt es dann kein Kontrast?
Ja, wobei damit dann selbstverständlich nur die Hautfarbe erfasst wurde. Bezüglich Haarfarbe oder Mentalität könnte sich beim selben Beispiel ein grosser Kontrast zeigen;-)